Blogito, ergo sum.

Blumenmeer

Es ist ein Frühlingstag. Aber ein solcher, welchen man noch nicht als einen ausgemacht hat. Es ist noch ein wenig neblig, windig und deshalb noch frisch in der Welt. Ein Blick gen Himmel lässt einem schon mehr die Wärme spüren als die Nase wirklich entgegen der Sonne zu halten. Sie ist noch nicht Herrin über die Geister des Winters geworden. Doch ein mehr als minder erzwungener Spaziergang durch die Stadt führt an einem Park vorbei, dessen Wiese zu einem nicht geringen Teil von weißen und lila Krokussen bevölkert wird. Dicht an dicht formen die Blüten ein Meer, dessen Wogen den Frühling lauter proklamieren, als man es an jenem Tag zu erwarten wagt. Es ist noch Zeit bis zum eigentlichen Zeck des Spaziergangs und es wäre ein Frevel sich nicht zumindest kurz auf einer Bank im Park nieder zu lassen und das Meer und dessen Brise aufzusaugen. Währendessen passieren einige Fußgänger. Sie schießen ein Foto, welches dann in der Wolke für immer verschwindet. Vielleicht lernen wir mittlerweile auch die Schönheit von Dingen zu erahnen, welche sich uns nur auf Displays präsentieren. Wahrscheinlich lassen sich alte Erinnerungen und deren damit verbundenen Gefühle vortrefflich durch simple digitale visuelle Reize zurück gewinnen. Man sollte eigentlich immernoch die Blüten und ihr Wogen im Wind bestaunen. Man könnte sich immernoch über diese mutigen Vorboten der kommenden Jahreszeit freuen. Wie sie furchtlos, villeicht sogar ein wenig herausfordernd, ihre Köpfe nach der Sonne aurichten, als wollten sie ja keinen einzigen Strahl vergeuden und jedes kleinste Fünkchen Licht und Wärme in pralle Farben und betörende Düfte verwandeln. Ein Gruppe Urlauber schart sich um das Ufer und ein wildes Knipsen setzt ein. So als wollte die Meute um jeden Preis vermeiden den Moment wirklich mit allen Sinnen wahrnehmen zu müssen. Es scheint schöner und einfacher zu sein an solchen Eindrücken nach dem Drucken der Fotos den Moment selbst aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren. Aber welche Erinnerung bleibt denn bestehen, wenn der einzige jemals empfangene Reiz durch ein Display oder Sucher gefiltert und verharmlost wurde? Die ganze Szene beginnt immer mehr zu schwingen und vibrieren je länger man sich ihr hingibt. Einige übereifrige Bienen und Hummeln versuchen ihre ersten Landeanflüge auf die Blütenblätter. Wie kleine Schiffchen schaukeln sie von Woge zu Woge und ergattern immer mehr Ladung für ihre ersten Nachkommen. Die Pause nähert sich nach einer knappen Stunde gemächlich ihrem Ende und die Reise muss weiter gehen. Fast schon Seekrankheit hat sich im Magen breit gemacht und es fällt umso schwerer wieder an Land Fuß zu fassen. Beim Aufstehen sollte einem noch einmal kurz einfallen ein Foto für die Liebste zu machen, auch ohne schlechtes Gewissen nur einen schlechten Abdruck festhalten zu können.

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