Die Letzte Ehre
Wir schreiben das Jahr 2016 und der Einsatz der deutschen Soldaten im mittleren und nahen Osten ist vorbei. Einige von ihnen sind zurück gekehrt und einige mehr sind es nicht. Der Tag der letzten Ehre für die Gefallenen ist gekommen. Die Zeremonie wird von einem sich schwermütig gebenden Bundespräsidenten in fast schwarz abgehalten. Zugegen sind Politiker, Generäle, Offiziere, Veteranen, Journalisten, das Fernsehen, Industrielle, Künstler, Prominente und auch ein paar Eltern von Gefallenen. In Erinnerung an diese bewegende Stunde, gilt es nun die Worte einiger Redner wieder zu geben:
Bundespräsident: Wir haben uns heute hier versammelt, weil es einer großen Leistung zu gedenken gilt. Einer Leistung von vielen Einzelnen, die in ihrer Gemeinschaft viel Großes vollbracht haben. Ich möchte jedoch selbst nicht viele Worte verlieren, sondern jene sprechen lassen, die in der Schuld dieser für ihr Vaterland im Einsatz gefallenen stehen. Als erstes übergebe ich das Wort an den Vorstand von H&K! (Applaus aus den Rängen)
H&K: Vielen Dank Herr Bundespräsident für diese wahren und warmen Worte. Ich für meinen Teil bin zutiefst gerührt und erregt darüber, wie groß und weit doch das Opfer so vieler einzelner hier erst vor deren Gräbern wirkt. Wir, H&K, waren in der Lage innerhalb der letzten drei Geschäftsjahre unseren Weltweiten Umsatz um prächtige 15% zu steigern. Und dies ist unbestreitbar dem beispielslosen Kampfgeiste der hier geehrten Soldaten anzurechnen. Wir konnten im Verlaufe des letzten Jahres einen großen Teil unserer Schulden tilgen, weil endlich der Gang an die Börse möglich wurde. Im Zuge dessen konnten wir sogar ganze 500 Arbeitsplätze innerhalb Deutschlands schaffen und in unserer näheren Werksumgebung einen neuen Logistikpartner mit Spezialisierung auf den nahen Osten als festen Bestandteil des lokalen Gewerbes etablieren. All diese gelassenen Leben werden niemals vergessen werden. Sie sind mit jeder Patrone und jedem Magazin in unseren Geschäftsbüchern vermerkt, die hallen in jedem neu eingestellen Arbeiter nach. Ein ewig dankbares Andenken an die tapferen Frauen und Männer, die in diesem schrecklichen Krisengebiet ihr Leben für unsere Firma, ja unsere gesamte Wirtschaft ließen! (Er geht ab. Bundespräsident tritt auf.)
Bundespräsident: Als nächstes wird ein General der Deutschen Bundeswehr seine Worte an uns Anwesende richten. (Der BP animiert zum Applaudieren)
General: Ich als tief verwurzeltes Mitglied unserer Organisation und unseres Landes empfinde eine umso größere Ehrfurcht vor der sich hier auftuenden Heldenhaftigkeit, die ich glücklicherweise mit meiner Mannschaft in den letzten Jahren erleben durfte. Wir haben unschätzbar wertvolle Informationen und Statistiken im Verlauf der letzten drei Jahre ermitteln können, die unserer Truppe für die nächsten Jahre und Einsätze in durch Krisen gebeutelten Gebieten von großem Nutzen sein wird. Wir konnten neue Taktiken aufgrund hochmoderner Verlustanalysen im echten Gefecht entwickeln, welche für uns ein unschätzbar wertvolles Mittel der Evaluation darstellten und die ohne tatsächlichen Feindkontakt niemals möglich gewesen wären. Jedes gegnerische Projektil, das uns getroffen hat, wurde registriert und ist in unsere Berechnungen eingeflossen. So bleibt kein Opfer unverwertet und dient noch lange Jahre unserer Sicherheit und dem Frieden auf der ganzen Welt. (Er geht ab. Bundespräsident tritt auf.)
(Diese Prozedur wiederholt sich noch mehrfach mit anderen Gästen. Die Politiker beschwören die nun besseren Absatzzahlen von Exportgütern im nahen Osten und die damit einhergehenden Steuereinnahmen, die in Rüstungsforschung investiert werden konnten. Die Industriellen loben die neu eingestellten Arbeitskräfte in diesen Ländern. Die Medien preisen die Zusammenarbeit mit den westlichen Regierungen in der Berichterstattung im Kriegsgebiet an und Prominente erfreuen sich am neuen Gefühl der Sicherheit, das sie nun endlich befallen kann.)
(Die Mutter eines Gefallenen betritt das Podium und es dauert eine Weile bis Stille eingekehrt ist und die kollektive Euphorie über die letzten Reden in geordnete Bahnen gelenkt wurde. Die Mutter hält zitternd mehrere Zettel mit ihrer Rede in den Händen.)
Mutter: Mein Roland war ein pflichtbewusster Junger Mann. Er wollte immer das richtige tun und Anderen ein Vorbild sein. Er war mutig und von einer unübersehbaren Liebe für sein Vaterland erfüllt. Deswegen kann es im Nachhinein für ihn keine größere Ehre gegeben haben, als dass unser Bundespräsident persönlich mich hier zu dieser Rede bewegen konnte und ich zusammen mit der ganzen Nation ihm hier die letzte Ehre erweisen werde.
(Sie spricht nicht weiter, schüttelt den Kopf, ihre Hände krallen sich zusammen, die Zettel fallen zu Boden)
Mutter (stockend): Doch für eine Familie wie die unsrige zählt nur die Tatsache, dass einer unserer Söhne nie mehr am Frühstückstisch sitzen wird, dass wir niemals seine Hochzeit besuchen werden oder seine Sprösslinge als Enkel in unseren Kreis aufnehmen können. Der menschliche Verlust ist nicht in Zahlen auszudrücken und trotzdem haben Sie es versucht! Sie alle meine Vorredner haben den Versuch unternommen menschliches Sterben und Morden zu rationalisieren, ja sogar wertvoll erscheinen zu lassen! Doch welchen Wert hat es für mich? Welchen Wert hat es für die anderen Familien mit Verlusten? WELCHEN? Welchen Wert!? Zeigen sie ihn mir, wenn wir doch gerade hier vor dem Kreuz mit dem Namen meines Sohnes darauf stehen. Zeigen Sie ihn dem LAND! (Sie wird unter Tränen von Sicherheitsbeamten von der Bühne entfernt und ein Sprecher entschuldigt sich peinlich berührt beim Publikum, während das Fernsehen schon seit einiger Zeit eine Zusammenfassung des letzten Gefechts in Kabul zeigt. Natürlich in UltraHD und 3D, dank der Zusammenarbeit mit der Regierung.)
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