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Einheit Welt Und Anfang

Die Einheit von Welt und Anfang

Unser Geist, der die Welt erfasst und konzeptioniert, bildet hierzu Kategorien, Begriffe, schöpft Bedeutungen, zeigt Verbindungen auf, leitet Gesetze ab und vollzieht alle möglichen Handlungen um die Welt um sich herum zu beschreiben. Eine natürliche Frage ist hierbei, wie die Welt entstanden ist, wie sie ihren Anfang gemacht haben kann. Denn schließlich ist der Anfang auch Teil der Welt deren Anfang er ist. Der Geist geht also von seinen Begriffen aus und versucht diesen Anfang, genauso wie er es vorher mit der Welt getan hat, zu fassen. Die Konzepte und Begriffe, die hierbei zum Tragen kommen, sind aber durch das Welt-Bild des Geistes geprägt, gefärbt, ja notwendigerweise beeinflusst. Hierbei kann der Geist dies nicht zufällig getan haben, denn die Konzepte müssen sich immernoch an der Welt messen. Doch je nach Entwicklungsstufe des Weltbildes können diese verschieden ausgeklügelt und komplex sein. Weiterhin kann die Konzeption des Anfangs auch nicht am explorativen Anfang stehen, denn es ist noch nicht gefasst, wovon diese der Anfang sein soll.

Das heißt, dass die Welt in Begriffe gefasst sein muss, um sie – inklusive ihres Anfangs! – zu erklären, jedoch der Anfang selbst so gestaltet sein muss, dass tatsächlich die gefundene Welt aus ihr entspringen kann. Also sind die Welt und ihr Anfang in einer sich gegenseitig bestimmenden Einheit, denn der Anfang ist bestimmend für die Welt, enthält sie also. Genauso enthält die Welt ihren Anfang, weil sie aus ihm hervorgegangen ist. Im Folgenden soll es um verschiedenste Ausprägungen dieser Einheit gehen, indem wir sie in Beispielen von metaphysischen, wissenschaftlichen und mythologischen Ansätzen wiederfinden. Hierbei wird man auch feststellen, wie sich die verschiedenen Ansätze durch Abstraktion und Einbettung in einander geschachtelt zur Schau stellen. Das heißt, dass man bei Betrachtung des Gesamtbildes dieser Konzeptionen einen noch größeren Zusammenhang erkennen kann.

Die Bibel

Es ist wohl wirklich kein Zufall, dass die [Bibel] so viele Individuen beschäftigt, so viele Kriege entfacht hat, so viele mehr verhindert hat und dessen Interpretation so viel Raum in unserer Diskussion eingenommen hat. Es als puren Zufall abzutun, dass die Bibel genauso gut wie jedes andere Buch ist, ist zwar ein möglicher Standpunkt, doch warum in diesem Fall unsere Spezies so viel Zeit damit vertan hat, lässt sich nicht so leicht erklären. Ein valider Ansatz scheint zu sein, dass die Texte mit unserer Psyche in solch einer Weise verbandelt sind, dass sie erstens das von uns täglich Erfahrene in ihrer Essenz abbilden und zweitens einen Weg zu einem erfolgreichem Leben aufweisen, der genau zu uns passt. Das mag trivial erscheinen, doch es bedeutet, dass unsere Psyche in gewisser Weise in diesen Stories eingebettet ist. Dies basiert wieder darauf, dass offensichtlich der Text und der Mensch in einer Einheit verhaftet sind, denn der Mensch verfasst die Texte, doch nur solche Texte haben Bestand, die zur Psyche des Menschen passen.

Wie es der Zufall will findet sich das Konzept der Welt und wie diese entstanden ist am Anfang der Bibel. An der Textstruktur selbst erkennt man bereits, dass auch den Menschen zu dieser Zeit das Problem des Anfangs und dessen Verquickung mit der Welt selbst ein Problem darstellt, weil man im Text immer wieder vor und zurück springen muss und dabei eine gedankliche Reflexion vollziehen muss, um den tatsächlichen Sinn zu erfassen. Ansonsten ist der Text linear konsumiert komplett unverständlich, wenn man nicht weiß, worauf

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war formlos und leer. Finsternis lag über der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte über dem wogenden Wasser.

später hinauslaufen wird. Zunächst sollte sofort auffallen, dass „Im Anfang“ statt „Am Anfang“ etwas geschieht. Das heißt, dass noch nichts angefangen hat, sondern der Anfang selbst bereits zwei Elemente, Kategorien enthält. Das heißt, dass es ohne Himmel und Erde nichts geben kann, da beide bereits im Anfang enthalten sind. In diesem Moment ist auch klar, dass mit „Erde“ nicht die Erde als Planet in der Milchstraße gemeint ist, also nicht das objektive Ding, sondern eine mythologische Kategorie. Genauso verhält es sich mit dem „Himmel“. Man sollte es auch nicht als eine Vorgangsbeschreibung lesen, denn es gibt nichts, woran sich ein Vorgang vollziehen kann und es gibt an diesem Punkt keinen Handelnden, sondern Himmel und Erde müssen in den Anfang hineingedacht werden.

Dass die beiden Kategorien Himmel und Erde heißen, ist phänomenologisch betrachtet nicht verwunderlich, schließlich gibt es für Menschen erst einmal nichts anderes zu sehen, als Dinge auf der Erde und Dinge im Himmel. In beiden Begriffe sind einerseits Abstraktionsbegriffe, als auch Summationsbegriffe, weil einerseits von empirischen Himmel und Erde verallgemeinert wird und weil zusätzlich mythologische Bedeutung hineinprojiziert wird. Zunächst fällt auf, dass die Erde „wüst und leer“ ist, also das Nichts und das Chaos regieren, welches Gott sogleich durch sein Wort in Form bringt. Dies vollzieht sich durch die Konfrontation der finsteren Tiefe mit dem gesprochenen Wort und weitere Kategorien wie Licht und Schatten entstehen dadurch. Auch hier findet wieder eine Verbandelung von Phänomenologie und Mythologie statt. Zwar sind Tag und Nacht Phänomene der empirischen Erde, doch die mythologische Bedeutung subsummiert unter ihnen viele Eigenschaften, die diesen natürlichen Vorgängen anhaften, wie Gut und Böse, Verstand und Traum. Weiterhin fällt auf, dass Gott nur die Kategorie Erde mit Leben und Bedeutung füllt, der Himmel bleibt unberührt. Weiterhin bewegt sich Gott Anfangs auf dem Wasser. Bildlich gesprochen ist er also auch das, was an der Grenze zwischen Himmel und Erde wandelt. Es erscheint zunächst seltsam, dass der Himmel zunächst nicht weiter Beachtung findet, was darauf hindeuten lässt, dass er ein ewiges, fixes, unteilbares Prinzip verkörpert. Der Himmel ist für Menschen zur damaligen Zeit Symbol des Unerreichbaren, der Ort wo das göttliche verortet ist, des Idealen. Tatsächlich werden hier mehrere Dinge suggeriert. Zunächst hat selbst Gott keine Macht über den Himmel. Zweitens ist der Himmel schon im Anfang als fix und ewig angelegt. Damit ist er drittens bereits im Anfang vollständig und in gewissem Sinne fertig.

Dann sprach Gott: „Lasst uns Menschen machen als Abbild von uns, uns ähnlich. […]“.

Die Kraft Gottes entäußert sich also durch die Sprache. Dies scheint wichtig zu sein, denn es wird mehrfach wiederholt. Nach allem, was wir bis jetzt wissen, ist also Gott eine potentielle Kraft, die durch Sprache wirkt, und dabei in der Lage ist, das Chaos und die Leere auf der Erde schöpferisch zu manipulieren. Und nun treten wir als Menschen auf die Bühne! Gott erschafft uns mit dem Wort und das in seinem Ebenbild, was in diesem Moment nichts anderes heißt, als dass wir selbst genau diese Eigenschaft Gottes in uns tragen. Mit dem gesprochenen Wort sind wir in der Lage den schöpferischen Akt Gottes zu replizieren. Im neuen Testament wird es in abstrahierter Form noch einmal wiederholt und konkretisiert.

Im Anfang war das Wort. Das Wort war bei Gott, ja das Wort war Gott. Von Anfang an war es bei Gott. Alles ist dadurch entstanden. Ohne das Wort entstand nichts von dem, was besteht.

Das heißt, Gott wird als das Prinzip angesehen, das mit dem Wort schöpferisch tätig ist, wir sind im Ebenbild Gottes geschaffen, also sind wir durch das Wort schöpferisch tätig. Hierbei ist keine versteckte Selbstüberhöhung des Menschen verpackt, sondern die Anerkennung eines transzendenten Prinzips, das wir als Menschen aus uns herausprojiziert haben, nachdem wir es als schöpferische Kraft in uns selbst erkannt haben. Denn die Leute waren ja nicht auf den Kopf gefallen, denn sie merkten an sich, dass sie selbst die Gedanken hatten und niederschrieben. In einer etwas anderen Form finden wir dies auch bei Aristoteles in [MeP]:

Allgemein in der menschlichen Natur liegt der Trieb nach Erkenntnis.

In einer ersten Abstraktionsanstrengung, die für das Alter des Textes wirklich beachtlich ist, erkennen die Menschen schon den Trieb nach Erkenntnis, den Drang das Unbekannte zu erforschen und haben auch die Methode, das Wort also Logos, isoliert und mit einer mythologischen Konzeption des Anfangs verquickt. Denn subjektiv kommt für den Menschen jedes Ding aus dem Unbekannten, dem Chaos, der Tiefe, dem Nichts und gewinnt durch gedankliche Beschreibung in Worten Substanz. Das heißt, dass es hinsichtlich dieser Einsicht kein großer Schritt ist den Anfang von Allem genauso, aber gleichzeitig abstrahiert, zu konzeptionieren. Wir kommen darauf später bei Hegel und seiner Analyse des Anfangs wieder zurück.

Man erkennt im Textaufbau der Bibel schon ein gewisses „In-Sich-Selbt-Verweisen“. Dies spiegelt auf stilistischer Ebene genau jene erwähnte Einheit von Anfang und Welt wieder. Offenbar war den Menschen damals schon klar, dass in der Abfolge der Erkenntnis die zeitlich letzte und allgemeinste Erkenntnis in der Reihenfolge der Notwendigkeiten an den Anfang zu setzen ist. Hier mach sich demnach auch die deswegen notwendige geistige Zirkelbewegung deutlich, denn jetzt können wir zum Anfang des Textes zurückgehen und

Im Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Die Erde war formlos und leer. Finsternis lag über der Tiefe, und der Geist Gottes schwebte über dem wogenden Wasser.

erscheint uns nicht mehr so mystisch wie vorher. Schließlich wissen wir jetzt, dass mit „Gott“ in dieser Beschreibung auch der Mensch gemeint ist und wir wissen, dass hier nicht nur vom Anfang der Welt die Rede ist. Sondern es wird impliziert, sich der Anfang von allen Dingen dem Menschen so eröffnet. Es ist also gleichzeitig eine Aussage über die Welt und über den Menschen, genauer gesagt darüber wie sich die Welt dem Menschen eröffnet. Man findet also in dem Text eine implizite Aussage über die menschliche Psyche. Denn schließlich muss die Story und was sie transportiert zum Subjektiven der Menschheit passen, ansonsten wäre sie nicht so lange tradiert worden. Was hier erst einmal als eine Überinterpretation meinerseits daherkommt, ist tatsächlich eine neurophysiologische Tatsache, wie wir später sehen werden.

Hegel

Im deutschen Idealismus wurde die geistige Selbstvertiefung in ihrem Grade der Abstraktion auf ein neues Niveau gehoben. Vor allem Hegel hat in [PdG] und später in [Wdl] immer wieder das Problem das Anfangs, die Selbstverwiesenheit der Philosophie und das Wissen vom Wissen in das Zentrum seiner Arbeit gestellt. In seinen Arbeiten ist die implizite und explizite Abstraktion zum Ruhen in sich selbst gekommen. Seine Leistung war also unter anderem, die bereits erwähnten Eigenschaften des Anfangs, des Geistes und deren Verhältnis explizit zu fassen.

In neueren Zeiten erst ist das Bewußtsein entstanden, daß es eine Schwierigkeit sei, einen Anfang in der Philosophie zu finden, und der Grund dieser Schwierigkeit sowie die Möglichkeit, sie zu lösen, ist vielfältig besprochen worden. Der Anfang der Philosophie muß entweder ein Vermitteltes oder Unmittelbares sein, und es ist leicht zu zeigen, daß er weder das eine noch das andere sein könne; somit findet die eine oder die andere Weise des Anfangens ihre Widerlegung. – [Wdl]

Die erwähnte „Widerlegung“ vollzieht sich wie folgt. Wäre der Anfang ein Vermitteltes, so lieferte dies einen logischen Widerspruch, da die Vermittelung von etwas ausgehen muss. Dieses Etwas kann aber nicht existieren, da nichts den Anfang logisch vorausgehen darf. Wäre der Anfang aber unmittelbar, bliebe er nur bei sich, da er wegen der Unmittelbarkeit auf nichts verwiesen sein kann. Letztere Richtung der Argumentation wurde schon in

Ex nihilo nihil fit.

auf den Punkt gebracht. Aus Nichts kann also nichts entstehen.

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