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Nihilia

In Nihilia ist das Leben schön. Man wird in eine leere und ereignislose Welt geboren. Im Moment der Geburt wird dem Menschen noch für einen kurzen Moment alles gewährt. In diesem Augenblick ist man das Unvollkommenste. Zuerst wird man der Verbindung zur eigenen Mutter beraubt. Das für Gebährende und Geborene nicht sehr schmerzhafte Durchtrennen der Nabelschnur ist für die Frau Befreiung. Für das Kind der Beginn des Verzichts. Der Verzicht auf Nahrung, Sauerstoff und Lebensraum. Jedes menschliche und damit erbarmungswürdige Lebewesen trägt seit Geburt einen Mundschutz, welcher den Anteil des inhalierten lebenswichtigen Sauerstoffes auf ein extremal minimales Höchstmaß reduziert, um keine unverholen gierigen Einflüsse auf die umgebende und sehr fragile Welt zu nehmen. Durch die Zufuhr von speziellen Hormonen werden Appetit und Wachstum so weit reguliert, dass ein übermäßig unnötiges Wachstum und unverhältnismäßiger Konsum von kostbaren Nahrungsmitteln in Zaum gehalten werden können. Somit wird recht von Beginn an schon eine unnötige Vielfalt an körperlicher und geistiger Bewegungsfreiheit vermieden. Doch Kinder neigen letztlich teilweise immernoch dazu sich ihrem Drang nach Bewegungen durch Ausführen von nutzlosen Erkundungen und sinnbefreitem Ausprobieren hinzugeben.

Die Schule steht hiernach ganz unter dem Prinzip des “Nihil”. Der erstrebenswerte Zustand, welcher durch sein erreicht werden wollen jegliches Handeln in Nihilia bestimmt. Schon bald bewegen sich alle Kinder auf die gleiche minimalistische Art und Weise fort. Niemand hetzt, niemand verbrennt unnötig Energie, niemand wetzt unnötig Kleidung ab. Genauso ist es von oben diktiert auch offenkundig das Vernünftigste.

Diejenigen, welche als keine Verschwendung an der Universität angesehen werden, lernen schnell den theoretischen Unterbau einer vollständig effizienten und zurückgezogenen Philosophie vom Leben. “Etwas ist zu viel”. Die Menschheit soll sich so wenig wie möglich in das sie umgebende Leben einmischen und so gering wie möglich auf den Verlauf der Dinge im Universum Einfluss nehmen. Denn diese ist dazu wohlwollend prädestiniert und deswegen dazu gezwungen solch ein Prinzip als Handlungsgrundlage zu wählen. Als einzige wirklich aber nicht freiwillig denkende Spezies auf diesem Planeten obliegt es deren Individuen die einzig rational rechtfertigbare Entscheidung zu treffen. Den Fußabdruck auf dem Pfad der Existenz möglichst leichtfüßig und in großen Abständen zu setzen.

Für Viele dauert es bis an das jähe Ende des Lebens, wenn sie selbst den Zustand des Nihil erreicht haben. Denn solange man als Selbst noch ist, ist man Etwas. Etwas das atmet. Etwas das immernoch zu ungestüm herumtrampelt. Etwas das noch Dreck verursacht. Etwas für das noch Tiere sterben. Etwas, das nur vom Leben nimmt und niemals gibt. Etwas unvollkommenes. Einige glorreiche Individuen sind in der Lage durch bloße Meditation und geistige Kontrolle das Nihil und damit das Ende ihrer Existenz zu erreichen. Denn erst wenn man nichtmehr ist und somit zum Nichts übergeht, ist man im Moment des hinwegscheidens für einen kurzen Moment im Nihil. Man ist komplett. Man ist am Gipfel seiner eigenen Sinnhaftigkeit. Das Leben wird nur durch den Tod vollkommen. Und nur die Menschen sind gut, die nichtmehr sind.

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