Zur Definition
Ein Kommentar zu “Theodor Adorno - Philosophische Terminologie - Zur Einleitung, Suhrkamp 1973”
In den ersten drei Kapiteln des genannten Buches zu einer Vorlesung, welche von Adorno zu eben diesem Thema gehalten wurde - ich denke für Erstsemester der Philosophie - dreht es sich darum, in wie weit es sinnvoll ist in einem philosophischen Definitionen zu fordern und sie deshalb auch zu suchen. Hierbei bezieht er sich einerseits auf Kant und erläutert auch die Ansichten, welche Nietzsche dazu geäußert hatte.
Nietzsche (S. 25, mitte) sah in einer Definition nichts anderes als eine mehr oder minder sinnvolle, und vor allem willkürliche Festsetzung der Bedeutung und des Inhaltes eines Begriffes. Dabei spricht er sich gegen die Tatsache aus, dass jedem Begriff eine wohldefinierte Menge an Eigenschaften zukommt, und man diese nur aufzuzählen braucht, um der Definition des Begriffes gerecht zu werden. Das Wort selbst jedoch enthält nur eine gewisse Andeutung all dieser Eigenschaften, welche man zwar aufzählen kann, doch es ist jedem selbst überlassen, in wie weit er welcher Eigenschaft mehr oder weniger Gewicht zukommen lässt. Er behauptet also, dass es nichts anderes, als willkürlich gewählte Definitionen zu geben scheint. Das macht ihn zu einem Vertreter des Nominalismus in seiner reinsten Form.
Als offensichtliche Motivation für Nietzsche an Definitionen und Dogmen festzuhalten, ist die Tatsache, dass es sich in einer wohldefinierten Welt, in welcher es feste Grenzen zwischen verschiedenen Begriffen gibt, viel einfacher argumentieren und vor allem leben lässt. (S. 26) Hierbei verwendet Adorno eine sehr prägnante und bildliche Formulierung: “man wird nämlich [..] dem Leben selber nicht gerecht, wenn man um des Idols der Sauberkeit und Eindeutigkeit willen die Begriffe aufspießt”. Hierbei ist das Verb ‘aufspießen’ sehr anschaulich gewählt. Einerseits fixiert man auf diese Art und Weise einen Begriff und andererseits nimmt man ihm jegliches Leben und die Möglichkeit der Weiterentwicklung. In gewisser Weise wird der Begriff dadurch seiner Lebendigkeit beraubt. Nietzsche geht sogar so weit zu behaupten, dass diese Herangehensweise nicht nur bequem, sondern auch falsch ist. Er ist der Meinung, dass sich die Wirklichkeit nicht in einem dogmatischen System denken lässt, weil sie die Eigenschaft der Definierbarkeit und Katalogisierbarkeit garnicht innehat. Daraus ergibt sich sofort, dass die Suche nach allgemeinen Definitionen und Axiomen in der Natur in gewisser Weise von vornherein zum Scheitern verurteilt ist.
Dies erscheint auf den ersten Blick ein wenig erschreckend und verwirrend, da man eigentlich als Wissenschaftler versucht zugrundeliegende Gesetzmäßigkeiten zu finden. Bis zu einem gewissen Level der Abstraktion ist dies auch hilfreich und sinnvoll. Doch jeder hat die Erfahrung gemacht, dass gewisse Gesetze und Zusammenhänge nur solange Gültigkeit behalten, wie man sie in hinreichend abstrakten Situationen überprüft oder benutzt. Wenn wir uns ganz genau Gedanken machen, stellen wir eigentlich auch fest, dass wir uns im Rahmen von Systemen und Definitionen viel wohler fühlen.
Kant, welcher von Nietzsche viel Spot erntete, behandelte das Verlangen nach Definitionen ebenso sehr kritisch. Dabei kam er zu dem Ergebnis, dass es nur sehr wenige Begriffe gibt, welche überhaupt definierbar sind. (S. 22,23) Er behauptet, dass Gegenstände der wirklichen Erfahrungswelt nicht definierbar sind. Sie sind lediglich _explizierbar _(lat. explicare = erklären). Damit ist gemeint, dass beispielsweise die Bedeutung des Wortes Baum nicht festgesetzt werden kann. Denn was ein Baum ist, ist uns von Natur aus gegeben. Daran können wir als Menschen nicht rütteln. Wir können lediglich die uns aufgefallenen Eigenschaften auflisten, die ausreichen, um einen Baum beispielsweise von einem Strauch zu unterscheiden.
Weiterhin sind Begriffe, welche nicht gegenständlich sind, aber a priori (von vorn herein) schon existiert haben, auch nicht definierbar. Deren Bedeutung lässt sich nur durch angestrengtes und langwieriges Bearbeiten des Begriffes selbst, die Beleuchtung und “Zergliederung”(S. 23, unten) desselben erreichen. Dabei kann man sich stets nicht sicher sein, den Begriff in seiner Allumfassenheit beschrieben, geschweige denn gedacht zu haben. Diese Art der Beschreibung bezeichnet Kant als die Exposition(lat. exponere = heraustellen).
Nun folgert Kant, dass lediglich in der Mathematik definiert, im eigentlichen Sinne, werden könne. Hierbei äußert er sich darüber wie folgt:
Kapitel 2, Seite 24: “Als solche wilkürlich gedachten, nämlich ‘von mir selbst konstruierte Begriffe’ sieht er die der Mathematik an, für die er deshalb die Möglichkeit einer adäquaten Definition behauptet, weil ja von mir, also meiner Definition abhängt, was unter dem betreffenden Wort gedacht wird.” […]** “Kant zieht daraus ausdrücklich die Folgerung, ‘daß man es in der Philosophie der Mathematik nicht so nachtun müsse, die Definition vorauszuschicken, als nur etwa zum bloßen Versuche.’ “**
Dies macht den Anschein, als würde man in der Mathematik Definitionen vollkommen willkürlich wählen, und danach arbeite man mit diesen Definitionen und versuche im Rahmen dieser bestimmte Erkenntnisse zu gewinnen. Dies ist aber von Grund auf falsch. Es ist genau das Gegenteil der Fall. Hierbei ist nicht gemeint, wie es Schülern oder Studenten gelehrt wird. Diese werden natürlich lediglich mit allen Definitionen konfrontiert, welche dann zu verinnerlichen und geistig zu bearbeiten sind. Doch die Festsetzung von Definitionen ist alles andere als willkürlich. Bis zu einem gewissen Zeitpunkt in der Geschichte war eine der großen Aufgaben in der Mathematik, für ein gegebenes System, Definitionen und Axiome zu finden, welche möglichst keine widersprüchlichen Folgerungen innerhalb des Systems zur Folge hatten.
Dies hatte zur Folge, dass man sich erst sehr lange in intensiv mit einem Begriff befassen musste, bevor man in der Lage war ihn konkret festzuhalten. Ein sehr gutes Beispiel hierfür sind die Natürlichen Zahlen. Diese werden durch die Peano-Axiome definiert. Diese wurden am Ende des 19. Jahrhunderts festgelegt und gefunden. Dabei war die Menscheit schon seit über 2000 Jahren damit beschäftigt sogar Zahlentheorie (Die Elemente, Euklid) mit ebendiesen Natürlichen Zahlen zu betreiben. Somit trugen 2000 Jahre Zahlentheorie und andere Forschungsgebiete erst zur vollständigen und schlüssigen Definition des Begriffes bei, dessen sie sich sehr lange bedient hatten. Die Folgerung heißt also, dass das Erkenntnistheoretisch spätere, das logisch zugrundeliegende ist. Man dringt also durch fortschreitende Erkenntnis immer tiefer in das Zugrundeliegende ein.
In seiner “Kritik der reinen Vernunft” wird Kant also der Mathematik nicht ganz gerecht. Jetzt könnte man sich vielleicht die Frage stellen, in wie weit es überhaupt eine Willkürlichkeit in der Arbeit der Mathematiker gibt. Und in wie weit gewisse Ergebnisse nicht vielleicht gezwungenermaßen entstanden sein müssen. Oder ob Mathematik im Grunde nicht auch aus einer anfänglichen Abstraktion der Wirklichkeit entstanden ist, welche sich dann verselbstständigt hat. Und in wie weit ist eine so sehr kreative, wie logische Wissenschaft, wie die Mathematik deterministisch veranlagt?
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